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LOGOS Ö1
"Der Erfolg evangelikaler Bewegungen"
19.02.2022

Der Erfolg der Evangelikalen

Logos Ö1

Ein Kommentar von Franz Graf-Stuhlhofer zur ORF-Sendung vom 19. Februar 2022


 

Am Samstag 19. Februar 2022 brachte Ö1 eine Sendung mit dem Titel Der Erfolg evangelikaler Bewegungen. Der Untertitel nennt das Anliegen noch etwas ausführlicher: "Ekstase und Askese" - Warum evangelikale Bewegungen so erfolgreich sind.

 

(zur Sendung Ö1 “Der Erfolg evangelikaler Bewegungen - Ekstase und Askese”)

Ungeklärte Begriffe

Inwiefern sind sie erfolgreich? Etwa in ihrem diakonischen Einsatz für ihre Mitmenschen? Das wäre sehr erfreulich. Was hier mit „Erfolg“ gemeint ist, wird jedoch in der – von Günter Kaindlstorfer gestalteten – Sendung nicht gesagt. Jedenfalls legt der Untertitel nahe, dass dieser Erfolg mit Ekstase und Askese zusammenhängt. Bei diesem Begriffspaar erinnere ich mich an solche muslimische Ordensgemeinschaften, welche Trance-Tänze praktizieren (etwa „Derwische“). Um diese geht es in der Ö1-Sendung jedoch nicht. Was mit „Ekstase“ und „Askese“ überhaupt gemeint ist, verschweigt die Sendung – diese Begriffe werden lediglich genannt, aber nie erklärt. Ich bezweifle, dass diese beiden Begriffe wirklich das für Evangelikale Typische kennzeichnen.

Die Askese bezieht sich vielleicht auf „ein rigides, oft auch körper-, lust- und lebensfeindliches Christentum, das da propagiert und gelebt wird“, und zwar – laut Kaindlstorfer – häufig bei Evangelikalen. Inwiefern Evangelikale z.B. besonders körperfeindlich sind, ist mir unklar – Kaindlstorfer äußert sich dazu nicht konkret.

Apropos Evangelikale: 

Die Sendung handelt zwar von Evangelikalen, erklärt aber nie, was darunter zu verstehen ist. Mehrmals wird darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine einheitliche Bewegung handelt, sondern dass es im evangelikalen Spektrum eine große Vielfalt gibt. Das stimmt. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten, sonst würde man ja nicht eine gemeinsame Bezeichnung für solche „evangelikalen Gruppen“ verwenden. Was sind die Kriterien, was muss vorhanden sein, damit eine Gemeinschaft als „evangelikal“ zu bezeichnen ist? Diese Frage wird in dieser Sendung nicht gestellt (und natürlich auch nicht beantwortet).

Daher ein Tipp an Gestalter einer Radiosendung: Die im Titel und im Untertitel verwendeten Begriffe (hier: Evangelikale, Erfolg, Ekstase, Askese) sollten in der Sendung erklärt werden, damit der Hörer weiß, worüber hier gesprochen wird.

Wenn in der Programmvorschau steht, dass die Evangelikalen „dank einer aggressiven Missionierung“ expandieren, dann wäre es wichtig zu erklären, was mit „aggressivem Missionieren“ gemeint ist – das wird leider nicht erklärt (wird etwa mit vorgehaltener Pistole missioniert?).

Evangelikale befragt

Sehr ausführlich kommt der Baptist Walter Klimt, also eine freikirchliche Stimme, zu Wort.  Dadurch entsteht ein authentisches Bild aus freikirchlicher Sicht. Klimt verweist u.a. auf ein bemerkenswertes Buch: „A Short Declaration of the Mystery of Iniquity“ (1612) von Thomas Helwys, einem der Begründer des Baptismus. Helwys forderte für jeden einzelnen Menschen Religionsfreiheit, die seitens der Herrscher nicht eingeschränkt werden sollte – ein für jene Zeit ungewöhnlicher Gedanke.

Neben Klimt kommt auch Frank Hinkelmann zu Wort, ein evangelikaler Evangelischer – er schätzt die Größe der weltweiten evangelikalen Bewegung auf ca. eine halbe Milliarde Menschen. Die anderen fünf Befragten sind keine Evangelikalen: Es sind drei Beobachterinnen „von außen“ sowie zwei Vertreter der Methodisten.

Wie Beobachterinnen und Kaindlstorfer urteilen

Die Eindrücke der Beobachterinnen „von außen“ können lehrreich sein. Die Bekehrung, ein bei Evangelikalen wichtiges Thema, wird von Susanne Heine folgendermaßen erläutert: „diese innere Erleuchtung hat etwas damit zu tun, dass sich alles ändert, dass ich eine neue Perspektive auf mich und die Welt bekomme und dass ich auch ein neues Leben führe; also Bekehrung heißt auch: Heraus aus einem alten, hinein in ein neues Leben.“

Anne Koch meint: „Es gibt viele Gründe, warum der Evangelikalismus erfolgreich ist. Das eine ist der Anti-Intellektualismus. Man muss nicht viel Theologie studieren, sondern man kann aus der eigenen Erfahrung, dem eigenen Jesus- oder Geist-Verhältnis heraus herausfinden, was richtig und was gut ist“. Diese Einschätzung ist völlig verfehlt. Der Evangelikalismus ist nicht anti-intellektuell. Von evangelikalen Pastoren wird eine theologische Ausbildung erwartet, und diese ist oft mit dem Erlernen von Griechisch, manchmal auch Hebräisch verbunden. Und generell betonen Evangelikale die Bedeutung der Bibel für die Orientierung – es wäre aus evangelikaler Sicht problematisch, wenn ein Christ sich nur auf seine Erfahrung und sein Jesus-Verhältnis stützen würde.

Ulrike Schiesser, Mitarbeiterin der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien, meint: Evangelikale Gruppen haben „so was wie eine Gewissheit auf alle Fragen der Welt; also sie bekommen Antworten auf jede Frage, die sich ihnen stellt, und man gibt ihnen so was wie ein Gefühl von: `Wenn Du bei uns bist, bist Du auf dem Weg des Erfolges`.“ Eine solche hier pauschal den Evangelikalen unterstellte Überheblichkeit ist sicher kein evangelikales Kennzeichen. Für jene, die sich intensiv mit der Bibel befassen, ist offensichtlich, dass wir darin zwar auf wichtige, aber bei weitem nicht auf alle Fragen die Antwort finden. Der von Schiesser schließlich noch erwähnte „Erfolgsglaube“ wird von den meisten Evangelikalen klar abgelehnt.

Manche Behauptungen klingen pauschal. Etwa wenn Kaindlstorfer sagt: „Dabei ist die Apokalypse, der angeblich unmittelbar bevorstehende Weltuntergang, häufig eines der stärksten Missionierungsargumente evangelikaler und freikirchlicher Glaubenswerber“. Ich kenne in Österreich keinen Evangelikalen und/oder Freikirchler, der vom „unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang“ spricht. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass es einzelne Evangelikale gibt, die das vertreten, aber es handelt sich sicher um keine verbreitete Ansicht.

Auch die folgende Behauptung von Ulrike Schiesser kann ich für Österreichs Evangelikale nicht bestätigen. Sie meint, es gebe „immer auch die Drohung mit dem Bösen, mit Satan in der Welt, also so diese Angst vor der Hölle, die schon sehr stark geweckt wird“. Auch hier gilt, dass eine solche Betonung bei Einzelnen vorkommen kann, aber sie ist sicher nicht verbreitet in Österreichs evangelikalen Gemeinden.

Laut Programmvorschau „vertreten die meisten dieser [evangelikalen] Gruppen ein strenges, an der wörtlichen Auslegung der Bibel orientiertes Christentum“. Das stimmt nicht. Die behutsame Auslegung der Bibel ist ein starkes Anliegen unter Evangelikalen. Poesie, Gleichnisse, Hyperbeln usw. sind natürlich nicht wörtlich auszulegen. Wobei das wörtliche Auslegen weniger problematisch wäre als das wörtliche Anwenden – wenn also versucht wird, Vorschriften des Alten Testaments in der Gegenwart umzusetzen. Aber die meisten evangelikalen Gemeinschaften lesen das Alte Testament vom Wirken Jesu und vom Neuen Testament her, und fühlen sich z.B. an die Speisegebote des ATs nicht gebunden.

Die Ausschnitte von einem nicht namentlich genannten deutschen Prediger, der  jeden Satz „hinausbrüllt“, sind sicher nicht typisch für evangelikale Gemeinden. Hat Kaindlstorfer einen solchen Predigtstil in österreichischen evangelikalen Gemeinden nicht gefunden, und weicht deshalb auf einen Deutschen aus? Zwischendurch werden in der Sendung Lieder kurz eingespielt, wohl aus evangelikalen Gottesdiensten. Kaindlstorfer sagt: „Gottesdienste werden wie schwungvolle Musical-Inszenierungen aufgezogen“ – hoffentlich haben nun solche Radiohörer, die einmal einen evangelikalen Gottesdienst besuchen wollen, keine zu hohen Erwartungen … Denn die meisten evangelikalen Gottesdienste lassen sich nicht mit Musicals vergleichen.

Methodisten distanzieren sich

Zwei Vertreter der Methodisten versuchen ihre Kirche vom Evangelikalen abzugrenzen. So sagt Stefan Schröckenfuchs gemäß der Programmvorschau: "Evangelikalismus ist zum Beispiel häufig mit der Ablehnung der historisch-kritischen Interpretation der Bibel verbunden. Glaube und Wissenschaft sind für Methodistinnen und Methodisten jedoch keine Gegensätze.“ Aber auch für Evangelikale sind Glaube und Wissenschaft keine Gegensätze! Wer bestimmte Tendenzen der historisch-kritischen Theologie (z.B. den methodischen Atheismus) ablehnt, der lehnt deshalb nicht die Wissenschaft ab.

Die Methodistin Esther Handschin verweist darauf, dass John Wesley als einzige Bedingung verlangte, dass jemand nach Gott sucht, und sie behauptet, dass „man in methodistischen Gemeinden nie die Bekehrung als Voraussetzung einer Mitgliedschaft in der Kirche fordern kann“. Dagegen sehen die Freikirchen in Österreich eine enge Jesusbeziehung als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft (wobei es nicht wichtig ist, wie es zu dieser Jesusbeziehung kam – nicht immer gab es ein dramatisches Bekehrungserlebnis).

Fazit

Mein Fazit zu dieser Logos-Sendung: Sie ist ein Indiz dafür, dass die Evangelikalen öffentlich wahrgenommen werden. Viele Angaben in der Sendung sind zutreffend. Kritik von außen sollte offen aufgenommen und bedacht werden. Allerdings ist eine Reihe der in dieser Logos-Sendung geäußerten Einschätzungen offensichtlich verfehlt.